für grosses Orchester -unvollendetes Stück- 2008, ca. 17′
Ricordi Verlag, Score in rent: Sy. 3824

UA: 16. Mai 2008, komische Oper Orchester, dir.: Patrick Davin, komische Oper Berlin.

Besetzung:

– 2 Fl. (Fl. 2 auch Picc.); 1 Bassfl. ; 2 Ob ; 4 Klar. ; 2 Fg. (Fg. 2 auch Kfg.) – 4 Hrn.; 3 Tp. (C) (Tp. 1 auch B Piccolotp.); 2 Psn. (Tenor/bass); 1 tuba – 3 Schlz.; 1 Organ (elec. mit Pedal); 1 Hfe.; 1 Pno (auch Celesta) – 12 vn.I; 10 vn.II ; 8 va.; 6 vcl.; 4 Kb.

[cml_media_alt id='2148'] Anordnung des Orchesters[/cml_media_alt]

Programmtext:

Als im Jahre 1664 zu Ehren von Ludwig XIV. in Versailles die königlichen Festspiele, die „Plaisirs de l’isle Enchantée“ (die Freuden dez verzauberten Insel), stattfanden, war es Jean-Baptiste Lully, der eine musikalisch wie politisch grandiose Idee entwickelte: Er fûhrte die so genannte Grande Bande (ein königliches Hofmusiker-Ensemble aus 24 geigern) mit der Petite Bande (den 18 Geigern des Hofes) et der Grande Ecurie du Roy (den Bläsern und Schlagzeuge der königlichen Kavallerie) zusammen und ließ sie gemeinsam musizieren. Mit nur einem Taktstab gelang es ihm -wie seinem König-, die Bewegungen und Striche der Geigenbögen in Einklang zu bringen. Der Komponist war sich durchaus bewusst, dass er eine Institution ins Leben gerufen hatte, die einzigartig und von Dauer sein würde: das Orchester. Es nahm nur wenig später diesen Namen an und Zog von der Theaterbühne in den Graben, währen diese von da an den Tänzern und Sängern vorbehalten war.

Aufgrund der großen Faszination, die der Sonnenkönig auf ganz Europa ausübte, fand diese neue Formation, eben das Orchester, zahlreiche Nachahmungen. Trotz seiner ursprünglich feudalen und höfischen Wurzeln überlebte dieses soziologische Gebilde sämtliche historische Revolutionen:

Diese Besetzung hat sich auch nach dem Untergang der adligen Feudalherrschaft und dem Aufstieg des Bürgertums gehalten (das Aufkommen dieser neuen Klasse hat nur mit den ersten öffentlichen und bezahlten Aufführungen des ‚Concert Spirituel“ das Profil des Publikums verändert). Das Orchester hat auch die französiche Revolution überlebt. Indem es auf die Bühne ging, hat sich das Orchester Anfang des 19. Jhdt ebenfalls auf die neue Vorherrschaft der reinen Musik gegenüber der gesungenen und getanzten Musik eingestellt. Einige Jahrzehnte später war es die Renaissance der Oper an die es sich anpasste, indem es sicht diskret in den Orchestergraben zurückzog. Ebenso hat diese Besetzung sich auch der Romantik (indem es die Zahl der Pulte vergrößerte), dem Expressionismus (indem es den Kontrast verschiedener Materialien bevorzugte), dem Impressionismus (indem es eine subtile orchestrale Chemie entwickelte), dem Neo-Klassisismus und selbst der Tabula-Rasa der 50-ger Jahre angepasst: Komponisten wir Xenakis, Ligeti, Nono oder Stockhausen haben es nicht abgelehnt für die traditionelle Orchesterbesetzung zu schreiben und Boulez hat sich selbst nach dem Vorbild eines politischen Lully als „Leiter“ eingesetzt.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends ist die Institution des Orchesters noch immer lebensfähig. Sie wird großzügig von Riegierungen und Städten, gleichberechtigt mit den nationalen Fußballmannschaften, subventioniert. Darüber hinaus sind die Orchestermusiker vielleicht die einzigen Künstler, die von einem sicheren Arbeitsplatz profitieren. Das orchester besitzt sogar ein eigenes, treues Publikum, für welches diese wahrhaf politische Institution einerseits die Vorstellung von einer bestimmten Musik (die sinfonische Musik) verköpert, anderseits von einer wirkungsvollen un ein wenig autoritären Machtverteilung (mit Taktstock führen). Das Orchester kann also einmal eine Mission erfüllen (manchmal spielt es als Botschafter in Pyöngyang), zum anderen Bildet es auch ein Gesellschaftsmodell sowie eine soziale Klasse ab. natürlich sind zwischen Karieo, Hongkong und Taiwan Variationen dieses Organisations-Modells entstanden, die sich manchmal relativ anachronistisch den Instrumenten und musikalischen Prinzipien der einzelnen Regionen anpassen. Die Heterophonie allerdings, die beispielsweise in zahlreichen Musikkulturen Asiens von großer Bedeutungen ist, wird durch die Präsenz eines Dirigenten -in westlichen Orchestern unentbehrlich – quasi abgeschafft. Das ist den analog entstandenen Ensembles ebenso wenig bewusst wie die Tatsache, dass der massive Einsatz von Saiten -und Blasinstrumenten den Klang verdichtet, die rhythmische Präzision entstellt sowie die Klangfarben und Resonanzen von Perkussions -und Zupfinstrumenten überdeckt (im Vergleich zu Asien im westlichen Kulturkreis eher sekundär).

Die Anzahl und Anordnug der unterschiedlichen Instrumentengruppen im westlichen Orchester fügen diesen automatisch präzise musikalische Funktionen zu, die man in dem Ensembles der japanischen Gagaku, in der balinesischen Gamelan-Musik oder im Rahmen der konfuzianischen Zeremonien in China gar nicht kennt (Dort gibt es keinen Dirigenten, nur wenige Instrumente, Perkussions- und Zupfinstrumente stehen in Vordergrund …). Kurzum, das westliche Orchester bleibt symbolisch und reprâsentativ für die westliche Welt. Wie kann man nun heute als Komponist im Bewusstsein der unterschiedlichen musikalischen Weltkulturen etwas für diese typisch westliche Formation schreiben (oder auch für ein Streichquartett)? Wie soll man Anfang des 21. Jahrhunderts mit den im Orchester bestehenden Hierarchien umgehen, mit den unterschiedlichen Verhaltenmustern der Stimmführer an ihren Pulten, der ersten Geige, dem Taktschlag des Dirigenten? Was tun mit der Masse von Streichern, die der rhythmischen Präzision der Bläser entgegensteht (Varese, aus diesen Grund, mochte nicht gern die Streichern)? Was mit all den Instrumenten, die in ihrer historischen Entwicklung verharren? Wie legitimiert man die Funktion des Dirigenten als Chef und Choreographen des Klangkörpers? Wie die Geographie des Ensemble überdenken? Und wie kann man letzendlich jedem einzelnen Musiker ermöglichen, seinen Fähigkeiten auf verantwortungsvolle Weise Ausdruck zu verleihen, ohne seine Funktion als Mitglied des Orchesters in Frage zu stellen?

Es musste mit einerseits gelingen, aus dieser funktionalisierten Masse von 67 Musikern verantwortungsbewusste und polyrhythmische Individuen zu formen und anrererseits den Zuhörer dazu zu bringen, sich den gar nicht westlichen Klängen zu öffnen, das Einzelne neben dem Gesamten wahrzunehmen, die Klangfarbe mit all ihren Schattierungen oder die Tempo-Schwankunegen durch sich überlagernde Kläge. Indem der Monochromie Raum gegeben wird -zwei Drittel des Stückes bestehen aus einem einzigen Akkord-, sollen bestehende Hörgemein Anliegen, den Zuhörer fûr die gesten des Dirigenten, die Regungen der einzelnen Musiker bis hin zum letzen Pult zu sensibilisieren. Ist es in unserer heutigen postmodernen, fatalistisch geprägten, von Systemen und Utopien enttäuschten Welt vielleicht doch noch möglich, zusammen zu musizieren und damit ein anderes Gesellschaftsmodell vorzustellen?